Ein kämpferischer Prediger für den Frieden
Es sind in der Regel nicht die angepassten, die „ghörigen“ und taktisch abwägenden Bürgerinnen, die dem Nationalsozialismus Widerstand leisten. Die sich den Anordnungen der Diktatur widersetzen, sind oft Außenseiter und Querköpfe oder Menschen mit ganz fester weltanschaulicher beziehungsweise religiöser Überzeugung. Der Pfarrer Alois Knecht hat von allem etwas und lässt sich deshalb auch von den Zwängen der NS-Herrschaft nicht verbiegen.
Schrecken des Krieges
Geboren wird Alois Knecht 1894 in Rankweil. Nach der Volksschule besucht er das Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch. Einer seiner Klassenkollegen ist Kurt Schuschnigg, der spätere Bundeskanzler des autoritären „Ständestaates“. Knecht wird ihm ein Leben lang in Verehrung verbunden bleiben. Nach der Matura beginnt er ein Medizinstudium in Innsbruck, ist sich aber nicht sicher, ob er nicht einer Berufung zum Priester folgen soll. Das Einrücken in den Ersten Weltkrieg schiebt die grundsätzliche Entscheidung vorläufig auf. Weil er in einem Brief seinem Vater vom Kauf weiterer Kriegsanleihen abrät, weil der Krieg ohnehin verloren sei, kommt er vor einen Militärrichter, dem Gnade und kämpfende Soldaten wichtiger sind als eingesperrte.
Nach ersten Einsätzen in Südtirol wird Knechts Bataillon Ende Oktober 1917 in die heftigen Gefechte am Isonzo geworfen. Hier erlebt er, wie die Soldaten der Monarchie sinnlos und unter Androhung von Gewalt in die italienischen Linien getrieben werden. Er erfährt den Horror des Krieges am eigenen Leib, muss mit ansehen, wie die Kameraden dahinsterben, und schwört sich, in Zukunft für den Frieden einzutreten.
Nach der Rückkehr aus der italienischen Kriegsgefangenschaft beginnt Alois Knecht im Herbst 1919 mit dem Theologiestudium in Brixen und wird im Sommer 1923 zum Priester geweiht. Nach einigen Stellen als Kaplan wird er Mitte der 1930er Jahre zum Pfarrer von Meiningen bestellt.
Die Friedenspredigt
Alois Knecht ist 1938 deprimiert über das Ende Österreichs und den ruhmlosen Untergang seines Schulkollegen Schuschnigg. Aber er enthält sich öffentlicher Stellungnahmen, versucht sich wie seine Kirchenleitung mit den neuen Machthabern irgendwie und ohne zu große Selbstaufgabe zu arrangieren. Doch der von Hitler befohlene Angriff auf Polen und der damit beginnende große Krieg lässt Pfarrer Knecht nicht mehr schweigen. Am Sonntag, dem 17. September 1939, hält er eine Predigt, die mit Bibelzitaten die politische Realität geißelt. Zum roten Faden wählt der Pfarrer den Psalm 67/13: „Herr, zerstreue die Völker, welche Kriege wollen.“ Er verurteilt mit Hilfe päpstlicher Aussagen diejenigen, die stets vom Frieden reden, aber zum Krieg rüsten. Unter den gegebenen Umständen kann man die herrschende Politik kaum deutlicher kritisieren. Den nationalsozialistischen Heldenverehrern versetzt er noch einen weiteren Hieb, indem er – Papst Benedikt XV zitierend – den Ersten Weltkrieg als „ehrlose Menschenschlächterei“ bezeichnet.
Die Predigt hinterlässt bei den Messbesuchern tiefen Eindruck und bei einigen mithörenden Nationalsozialisten helle Empörung. Der Denunziant meint in seiner Anzeige, man solle dem „Apostel das Maul stopfen“. Kreisleiter Anton Plankensteiner persönlich leitet die Anzeige an die Gestapo weiter mit der handschriftlich beigefügten Empfehlung: „Verhaftung und Belangung nach dem Heimtückegesetz.
Drei Wochen später stehen drei Gestapoleute im Pfarrhof: Sie durchsuchen die Pfarrkanzlei und nehmen Pfarrer Knecht mit ins Bregenzer Gefängnis. Mehrmals wird er in die Gestapozentrale in der Bregenzer Römerstraße geholt, verhört und beschimpft. Am 3. Jänner 1940 wird er nach Innsbruck verbracht. Mit der Begründung, „er gefährde den Wehrwillen des deutschen Volkes“, wird Knecht ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. In Innsbruck erhält er noch einen tröstlichen Besuch von Provikar Carl Lampert.
In den Lagern
Der zehn Tage dauernde Transport nach Brandenburg vermittelt bereits eine Vorahnung auf das, was folgen wird: Drohungen, Schläge, Beschimpfungen, Schikanen, Demütigungen, Hunger. Die 60 Männer, die mit Pfarrer Knecht am 27. Jänner 1940 in Sachsenhausen ankommen, müssen sich in einer Reihe aufstellen und die Gründe für ihre Einlieferung melden. Knechts Erklärung befriedigt den fragenden SS-Mann nicht und er antwortet mit einem Faustschlag ins Gesicht des Neuankömmlings. Der Kommandant eröffnet ihnen, dass sie hier zu „rechtschaffenen Menschen“ erzogen würden. Dann heißt es: „Juden heraustreten!“ Diese müssen sich auf den Boden werfen, auf allen Vieren kriechen, schnüffeln und bellen, weil sie Hunde seien. Das sind die „Erziehungsgrundsätze“ der SS.
Im Dezember 1940 werden die katholischen Priester, die im KZ Sachsenhausen interniert sind, nach Dachau verlegt. Neben Alois Knecht ist auch Dr. Carl Lampert auf diesem Transport. Er ist im Sommer 1940 nach Sachsenhausen verbracht und gleich in die Strafkompanie verlegt worden. Die Strafkompanie ist gewissermaßen ein KZ im KZ. Wer einer solchen Kompanie zugeteilt wird, soll bald zu Tode geschunden werden.
Im Konzentrationslager Dachau werden 1940 aus allen Lagern die in „Schutzhaft“ genommenen katholischen Geistlichen zusammengezogen. Es werden im Laufe der Naziherrschaft mehr als 2.500 Personen sein. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Polen. Ab 1941 gestattet der SS-Chef Heinrich Himmler in diesem Bereich die Abhaltung einer täglichen Messe. Vielen niederrangigen SS-Leuten sind die kleinen Vergünstigungen in den drei Priesterblöcken ein Dorn im Auge und ein Grund für Schikanen. Ab März 1943 ist der Vorarlberger Kaplan Georg Schelling der anerkannte „Lagerkaplan“, ab Oktober 1944 wird er vom Münchner Kardinal zum „Lagerdekan“ ernannt. Er ist damit der Sprecher und interne Organisator seiner priesterlichen Leidensgenossen.
Pfarrer Knecht hat nach einem ganz schwierigen ersten Jahr in Dachau das relative Glück, in der so genannten Plantage beschäftigt zu sein. Das ist ein von der SS unterhaltener großer Kräutergarten, in welchem Ersatzgewürze, Heilkräuter und Vitaminpflanzen angebaut und verarbeitet werden. Auf den Etiketten der im ganzen Reich vertriebenen Produkte steht: „Der Dachauer Kräutergarten garantiert Reinheit, Echtheit und Sauberkeit der Ware.“ Von den Lebensbedingungen der Arbeitssklaven steht nichts auf den Etiketten.
Im Nachkrieg
Ende März 1945 wird Pfarrer Alois Knecht nach über fünfjähriger Haft entlassen. Er kehrt nach Vorarlberg zurück und wird nach Kriegsende wieder als Pfarrer eingesetzt: zuerst in Warth, anschließend auf der Fluh bei Bregenz und dann bis zu seiner Pensionierung in Hohenweiler.
Diese Verwendung auf seelsorglichen Außenposten verweist darauf, dass Knecht nach seiner Rückkehr, wie früher schon, sich nicht anpasst. Er kann sich nur schwer abfinden mit dem öffentlichen Schweigen: Er will reden über Konzentrationslager, Widerstand, Anpassung und Mitläufertum. Es schmerzt ihn zutiefst, dass er aus kirchlichen Kreisen hören muss, seine fehlende Klugheit habe ihn ins KZ gebracht. Er will über das Erfahrene reden, doch die Nachkriegsgesellschaft will es nicht hören. „Den einen wird die Wahrheit über die Todesmühle der Kazetts zur schweren Anklage, den anderen wird ihr Verbrechen nachgewiesen, das sie in einer Zeit begingen, als sie vom Wahne verblendet waren, dass Hitlers Macht nicht mehr gebrochen werden könne.
Solche Töne stören die neue Harmonie, und Pfarrer Knecht wird in den Folgejahren nicht müde, seine kritische Stimme zu erheben: gegen Maßnahmen des Bischofs, gegen die Dorfgrößen in seiner Pfarre Hohenweiler, gegen ehemalige Nationalsozialisten, die wieder das Sagen haben, ohne Bedauern oder gar Reue zu zeigen. Das Unrecht der Lagererfahrung prägt den Blick des streitbaren Pfarrers auf seine Umgebung, und die anscheinende Sinnlosigkeit seines Martyriums macht ihn verbittert.
Pfarrer Alois Knecht stirbt fast hundertjährig im Altersheim seiner Heimatgemeinde Rankweil. Die Demütigung durch die Folter begleitet ihn bis an sein Lebensende. „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wieder gewonnen. Dass der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen.
So beschreibt Jean Amery, dessen Vorfahren aus dem jüdischen Hohenems stammen, die Nachwirkungen des nationalsozialistischen Konzentrationslagers. Sie decken sich mit der Erfahrung des Dachau-Häftlings Alois Knecht.
Aus Meinrad Pichler, Nationalsozialismus in Vorarlberg Opfer . Täter . Gegner S. 217 – 219
Quelle: Alois Knecht, Heimatliebe, Friedensliebe und ein „allmächtiger“ Staat. Erlebnisse aus zwei Weltkriegen, Feldkirch 1988.